Gen. 23 Blatt 2 Die Fam. der 1. Ehefrau Charlotte Margarethe Helene Mueller-West - Stolte Familie

Die Familien Stolte und nachfolgend Hoffmann
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Gen. 23 Blatt 2 Die Fam. der 1. Ehefrau Charlotte Margarethe Helene Mueller-West

Die Generationen ab 1236
Die Geschichte und Familie Charlotte Margarethe Helene Mueller-West

Die in der unterstehenden Grafik abgebildeten Personen sind alle eng verbunden. Wir finden über die Button 1-4 die Gruppen geordnet und übersichtlich wieder.


Diese Geschichte zeigt den Aufstieg und Fall eines bedeutenden Gutes in Ostpreußen und reflektiert die Tragik der Flucht und Zerstörung zum Ende des 2. Weltkrieges.
Das adlige Gut Genslack im Kreise Wehlau am Fluss Pregel gelegen und durchschnitten von der Königlichen Ostbahn. besteht aus dem Hauptgut Genslack rrıit den Vorwerken Oberwalde, Paulinenhof und Waldhaus. der großen Ziegelei Zimmau und der Wassermühle Zimmau. im Ganzen umfasst es ein Areal ca. 1600 ha. davon 300 ha. beste Pregelwiesen. Im Jahre 1616 vertauschte Salomon von Hüllsen sein Gut Schonbaum im Amte Tapiau gegen eine gleich große Fläche in Genslack, welche demselben auf Befehl des Herzogs Johann Sigesmund dort angewiesen wurde.
Später kam Genslack in den Besitz der Familie von Reichmeister, dann durch Heirat an B. von Gaudy. Nach dessen Tode wurde von Bolschwing Besitzer, der die königliche Ziegelei Zimmau dem Gute erwarb. 1821 kaufte Genslack Baron von Hevking und vereinigte mit demselben das Gut Überwalde. 1838 kam es in den Besitz des Grafen Klinkowstroem, von dem es 1841 der vorletzte Besitzer, Amtsrat Friedrich von Maröes kaufte. Letzterer hat das früher bedeutend kleinere Gut durch Zukauf der Mühle Zimmau und der sämtlichen noch vorhandenen Bauernländereien vergrößert und arrondiert, so wie fast alle Gebäude neu aufgebaut. Dem Amtsrat Friedrich von Maröes gehörten außerdem noch die Güter Althof Skirbs im Kreise Niederung und Elisenau im Kreise Dorlnau.
Im Juli 1880 Friedrich Mueller (Urgroßvater des Autors dieser Webseite), verheiratet mit Auguste Johanna Mueller, geb. West kaufte das Adl. Gut Genslack, nachdem der Vorbesitzer Friedrich von Maröes sich vorher finanziell übernommen und danach erschossen hatte.
Es wurde Milchvieh (über 250 Stück) auf den satten Pregelwiesen gehalten. In einer eigenen Molkerei mit Käserei wurde der über die Grenzen beliebte "Tilsiter" Käse sowie Butter und Sahne hergestellt und hauptsächlich in Königsberg vermarktet.
Weiterhin war Friedrich Mueller bekannt für die Aufzucht von Remonten (im militärischen Bereich verstand man unter Remonten drei- und vierjährige junge Pferde). Sie wurden für die jährlich ausgemusterten Armee-Pferde benötigt, z. B. im Jahre 1900 bei einem Bestand des kaiserlichen Heeres von 98.000 Pferden, wurden insgesamt ca. 11.000 Remonten benötigt. Das preußische Militär kaufte sie vor allem in den Zuchtbetrieben auf den Gütern im ehemaligen Ost- und Westpreußen.
Die zum Gut befindliche Ziegelei Zimmau wurde nach dem Tod des Vorbesitzers Friedrich von Maröes an Herrn Georg-Friedrich Lemke verkauft und von ihm erfolgreich zu einer Aktiengesellschaft umfunktioniert. Er mietete den neu gebauten Anbau (links) des Herrenhauses auf Genslack für seine Familie. gemietet. Seine Tochter Marie schrieb später die Erinnerungen an die paradiesische Zeit auf Gut Genslack. (siehe weiter unten).
Friedrich Mueller bewirtschaftete das Gut erfolgreich. Er trug den Titel Amtsrat und verwaltete zusätzlich den Amtsbezirk Genslack vom 21.7.1880 bis zu seinem Tode. Friedrich Mueller verstarb leider schon sehr früh am 4.1.1905 mit 53 Jahren.
Seine Witwe Auguste Johanna heiratete dann 1908 den Inspektor des Gutes Wilhelm von Haugwitz. der das Gut weiter führte, später aber das Genslack und die Familie Mueller-West verließ. Er hatte sich mit den Söhnen von Friedrich Mueller nicht mehr verstanden. Es wurde häufig wegen unterschiedlicher Meinungen zur Führung des Gutes gestritten. Die immer noch dem Gut zugehörende Mühle wurde verpachtet. Die 3 Söhne von Friedrich Mueller unterstützten nun die Mutter bei der Führung des Adl. Gutes Genslack.
Am 1.12.1910 zählte der Gutsbezirk Genslack 157 Einwohner, wovon ca. 60 erwachsende Einwohner unmittelbar auf dem arbeiteten.
1914 heiratete Charlotte Margarethe Helene (Tochter des Friedrich Mueller) den Gerichtsassessor und späteren Regierungsdirektor im
Finanzpräsidium Leipzig. Heinrich Stolte. Aus der Ehe gingen 2 Kinder hervor: 1914 Elisabeth Helene und 1916 Hans Henning. Die Ehe wurde l928 geschieden.
Von 1919 bis 1927 übernahm der älteste Bruder von Charlotte, Alfred der in dieser Zeit das Gut Genslack seiner Mutter verwaltete, zusätzlich als Amtsrat auch die Verwaltung des Amtsbezirks Genslack. Danach ging Alfred Mueller über Andalusien/Spanien nach Süd-West-Afrika und war dort Farmer und Rinderzüchter. Die Brüder Conrad und Horst wurden in der Armee Berufsoffiziere.
Das Ald. Gut Genslack ging in den Besitz der Tochter Charlotte Margarethe Helene Stolte, geb. Mueller-West über. im gleichen Jahr. 1928. heiratete sie in 2.Ehe den ehemaligen Offizier und Rittergutsbesitzer Egon Kaspar Freih. von Pirch. der seine Güter in Pommern hatte.
Die Abtrennung Ostpreußens vom Deutschen Reich nach dem 1. Weltkrieg verschlechterte die Lage der Landwirtschaft so sehr. dass sich viele Güter nicht mehr halten konnten. Im Jahr 1929. das Jahr der Weltwirtschaftskrise. wurde ein Teil der Pregelwiesen durch die staatl. Landgesellschaft in 27 Siedlerstellen zu je 100 Morgen für Feld und Wiesen aufgeteilt, die 1930 bezugsfertig und bis 1932 bezogen wurden.

Der Sohn von Charlotte Mueller. Hans-Henning Stolte, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Stettin, dann als landwirtschaftlicher Eleve bis zum Beginn des Krieges 1939 in Pommern und Ostpreußen auf versch. Gütern um die Landwirtschaft zu lernen. Er sollte später einmal Gutsherr auf Genslack werden.
Ab 1940, In den Kriegsjahren, wurde Genslack auch als Erholungsheim für Berliner Kinder genutzt, da Ostpreußen als ruhiges. vom Krieg verschontes Land galt. Die N.S.D.A.P. nutzte das Gut auch, um junge Mädchen unter der Hakenkreuzfahne im Sinne der Partei zu erziehen.

Später am 22. Januar 1945 wurde die Bevölkerung vor der nach Westen und Norden voranschreitenden Invasion der Roten Armee gewarnt. Es kam über Nacht der Evakuierungsbefehl für alle auf dem Gut befindlichen Personen. Jede Person durfte nur 25 kg an Gepäck mitnehmen.Diese Zahl wurde aber von vielen Flüchtlingen überschritten, wenn man sich vorstellt, dass Pferde- und Ochsen vor Leiterwagen u. ä. gespannt wurden, die randvoll mit Hausrat und anderen Sachen beladen waren. Dies war auf der Flucht oft dramatisch, da die Wagen z.T. im Eis des Haffs einbrachen oder mit gebrochener Achse irgendwo stecken blieben. Auf der Flucht gestorbene Menschen konnten nicht beerdigt werden, da der Boden steinhart gefroren war. Sie musste mit vielen Emotionen am Wegesrand, unter Schnee begraben, zurückgelassen werden. Am 23. Januar floh die Bevölkerung, auch Charlotte Mueller-West mit den Töchtern Elisabeth aus 1. Ehe und Heidi aus 2. Ehe mit nur wenigen Habseligkeite vor der Roten Armee über das zugefrorene Half Richtung Gotenhafen.


Endlose Flüchtlingstrecks zeugten von der grausamen Vertreibung aus der Heimat. Die nachrückende rote Armee brandschatzte alles was ihnen in die Quere kam. Auch das Gut Genslack wurde nicht verschont. Was blieb, war Schutt und Asche.
Die Ländereien des ehem. Gutes Genslack liegen heute auf russischem Gebiet und renaturieren, da eine geordnete Entwässerung und Bewirtschaftung der Pregelwiesen nicht mehr so wie früher betrieben wird. Die Äcker stehen im Herbst zum Teil unter Wasser und wo früher die "Kornkammern" standen liegt heute das Land z.T. brach und sumpfig. Der Ort Genslack heißt heute Prudy.

Der damals noch lebende Teil der Familie hat Jahrzehnte immer wieder gehofft diesen Fleck der Erde einmal wieder zu betreten und sehen. Dieses wurde leider nie möglich.



Zu guter Letzt. Genslack war ein Paradies für Kinder. Um dies zu zeigen, ist hier die Originalaufzeichnung der Marie Lemke wiedergegeben. Die 3 Grafiken die wir hier sehen sind aus ihrer Feder und zeigen das Gutshaus Genslack wieder.
Vorderansicht, links der Anbau
Gartenansicht
Anmerkung:
Als  die Familie Lemke von Königsberg nach Genslack zog beginnt die Geschichte der Marie Lemke:

Im Jahr darauf erschloß sich uns, mir und meinen 2 Schwestern unser Kindheitsparadies: Genslack. Das Glück begann in den Himbeersträuchern. Ich sehe den vornehmen dunklen Herrn deutlich vor mir, wie er mit seinen langen schmalen Fingern die großen Himbeeren pflückte und uns zureichte. Das hatten wir noch nie erlebt. Die Tragik, die dahinter stand, ahnten wir freilich nicht. Jener Herr war der Besitzer von dem adligen Rittergut Genslack. Dies Gut lag zwischen Groß Lindenau und Tapiau. Herr von Maröes hatte eine sehr reiche Frau geheiratet, eine geborene Moneta. Daraufhin hatte er sein Gut neu gestaltet und wundervolle Ställe gebaut. Beim ersten Kindbett lag die Frau im Sterben. Meine Mutter hatte uns in ihrer anschaulichen Art erzählt, daß wir Kinder es nie vergessen haben - Ärzte und Rechtsanwälte saßen am Wochenbett der jungen Mutter und an der Wiege des schwächlichen Kindes. Wird die Mutter noch zum Bewußtsein kommen, um ihren letzten Willen kund zu tun und ihrem Mann ihr Vermögen zu vermachen oder wird das Kind wenigstens um Sekunden die Mutter überleben, damit (der Vater) das Kind die Mutter und der Vater sein Kind beerben könnte. Dann war Herr von Maröes gerettet. Keines von beidem geschah. Das Kind starb vor der Mutter und die junge Frau kam nicht mehr dazu, ihren Willen kundzutun. Herr von Maröes blieb zurück ohne Frau, ohne Kind, ohne Geld. Die Schuldenlast war riesengroß. An jenem Himbeertag hatten uns die Eltern wohl mit aufs Land genommen, als mein Vater helfen wollte, die Lage zu ordnen und zu helfen. Später hörte ich, Herr von Maröes sei noch bei meinem Vater im Comptoir gewesen, eine Stunde darauf hatte er sich erschossen. Ich war damals noch nicht 10 Jahre und dies Schicksal hat mich so erschüttert, daß es bis heute in meiner Seele weiterlebt. Leider habe ich daraus nicht gelernt, bei meinen eigenen Kindern eine gleiche tiefe und seelische Empfindsamkeit in diesem Alter vorauszusetzen. Manchen Schmerz, manches spätere Mißverstehen, hätte ich ihnen und mir erspart.
Genslack, das Gut wurde verkauft, an Herrn Müller, der hier vorher Verwalter war. Die Ziegelei wurde unter der Hand meines Vaters zu einem Aktienunternehmen, in das er sein erspartes Vermögen, etwa 100,000 M. hineinsteckte. Er hatte in Königsberg die Entwicklung der Stadt nach den Hufen vorausgesehen, hatte dort Terrain kaufen wollen, wurde aber nicht herangelassen und suchte nun diesen Weg zur Entfaltung seiner kaufmännischen Ideen. In Genslack war an das Gutshaus ein Anbau gemacht worden, den mieteten wir uns, statteten ihn als Landhaus aus. Es waren wohl 7 Zimmer in der I. ten Etage und eine große Küche und Mädchenzimmer und Nebengelaß im Erdgeschoss.
Hier konnte meine Mutter ihr großes Organisationstalent entfalten. Schlichte Möbel, bewußt schlichtes Geschirr und einfache Einrichtung gaben dem Ganzen den leichten Charakter, der zur Sommerfrische gehört. Einige dieser schlichten Möbel leben noch heute - ich bin 40 Jahre verheiratet - in meiner Wohnung. So war es auch nur möglich, daß meine Mutter so viele Gäste bei sich sehen konnte. Ein Bild in der anliegenden Mappe zeigt den Besuch, uns alle und auch die Amalie, die alte Anna (Köchin) und die Rose. Vor dem Hause war ein großer Tisch unter einem Fliederbaum, dahinter für Regentage auch ein Zelt. Ein riesengroßer Park mit 2 langen Laubengängen schloß sich an das Gutshaus an, etwas abseits neben dem Inspektorhaus waren noch ein Riesenpark mit großen Abhängen und Schluchten geteilt in zwei Teile durch die Eisenbahn. Ein großer Pavillon gab Gelegenheit zum Ruhen und zum Beobachten der Züge. Wie manchen D-Zug haben wir dort vorbeirasen sehen, wie manchen Pfennig plattdrücken lassen.
        
Dahinter kamen nach echter Wildniss   die Pregelwiesen mit unserm Tennisplatz und dem still dahinfließenden Pregel   mit seinen Dampfern, den litauischen Flößen und Kartoffelkähnen. Wie haben   wir diese Wildniss durchstreift, bewaffnet mit Bogen und Pfeilen, Säbel,   Gewehr und Riesenstangen. Ich schoß damals so gut, dass ich Äpfel vom Baum   schoss und mit den langen Stäben setzte ich die tiefen Abhänge hinunter, wohl   5-6 Meter dabei in der Luft schwebend. Im Herbst waren die Apfelbäume   und die großen Strohhaufen die Hauptanziehungspunkte. Kein Baum war zu   schwierig zu erklettern, kein Strohhaufen zu hoch zum Hinunterstürzen oder   Springen. Oft übertraf ich meine Brüder. Unmittelbar am Haus war der   Kroquetplatz. Ein schönes Spiel; ich habe es mit Leidenschaft gespielt und   bis zur Virtuosität darin gebracht; das ging so weit, das keiner mehr mit mir   spielen wollte. Kam an mich die Reihe, dann nahm ich mir eine Kugel mit und   holte mir von ihr immer wieder neue Schläge, dass den anderen Spielern nichts   übrig blieb, als zuzusehen, bis ich durch das letzte Tor und an den Pfahl   rannte. Es blieb mir daher nichts übrig, als mit der linken Hand zu spielen.   Leider stand ich dann aber um 5 Uhr auf und übte so lange, bis ich es zur   gleichen Virtuosität gebracht hatte und damit wieder ein unliebsamer Partner   wurde. Manch ein Streit entspann sich dabei freilich auch. Aus jener Zeit   stammt das berühmte Wort von Onkel Paul, dass meine Mutter noch im späten   Alter zitierte: „Es ist doch ganz gleich ob die Kugel durchs Tor geht   oder daneben.“ Heute habe ich Onkel Paul weit überholt in der   Auffassung, was wichtig und unwesentlich ist, aber gerade die Unbedingtheit   und unser Eifer gaben damals dem Spiel seinen Reiz und möchte ich hinzufügen,   dem Leben überhaupt.
Wohl eine halbe   Stunde vom Gutshaus lag malerisch die Mühle und der umwaldete Mühlenteich.   Der Teich selbst lag tief, zu beiden Seiten erhoben sich schmale Waldungen,   offenbar künstlich angelegt, wie ihr Name „die Anlagen“ besagte.   In diesen Anlagen führte am Ufer des Teiches ein schmaler Pfad entlang. Hin   ging man auf der Chaussee, wohin der Waldpfad führte, ist mir vollkommen   entfallen. An einer schönen Stelle war ein Badeplatz gemacht worden. Dort   haben wir mit unseren Gästen schöne Stunden verlebt und auch auf Strohbündeln   die ersten Schwimmversuche gemacht. Einmal bin ich auch mit den Brüdern auf   dem schmalen, schlüpfrigen Pfad am Ufer des Teiches entlang geritten. Das war   streng verboten, weil ein Pferd das Bein brechen und wir stürzen konnten. Die   atemlose Spannung und das Herzklopfen, die Waldesstille und die ganze   Atmosphäre des Verbotenen ist in mir wach, als wäre es gestern gewesen. Einen   Strauchbesen führten wir mit, um alle Spuren der Pferde, die sich um unser  schlechtes Gewissen nicht kümmerten, gleich zu vernichten. An der Badestelle   mußte ich die 4 Pferde halten, weil meine Brüder baden wollten. Als  Menschenstimmen zu hören waren, bekam ich den Befehl, mit den Pferden den   Abhang hinauf zu steigen bis zum Ackerrand. Das war gar nicht ganz einfach,   denn der Abhang war recht hoch und steil und der Raum zwischen den Bäumen für   4 Pferde sehr schmal, aber es gelang. Ich war damals wohl 12 Jahre und sehr   stolz, das ich zu solchen Diensten gerufen wurde. Dafür verschwiegen meine   Brüder auch Unfälle die ich bei tollkühnen Ritten hatte. Es ging ja gottlob   immer glücklich aus. Meine Mutter war sehr ängstlich und hätte mir sicher das   Reiten verboten, wenn sie alles gewußt hätte. Auch das Baden machte ihr schon   große Sorgen. Da kam mein Bruder Walter, der edelste und unerschrockenste von   den vieren auf einen guten Gedanken die „Mama“ zu beruhigen. Vor unserem Haus   war ein Dorfteich, ziemlich groß, wenn auch schmutzig. Er ließ sich eine   Waschwanne geben und rief die Mama, sie möchte zusehen kommen. Voll angezogen   setzte er sich hinein, ließ sich einen Stoß geben, ruderte noch zum Schein   und plumpste dann selbstverständlich mit der Wanne um. Ein Schrei meiner   Mutter. Aber gewandt tauchte er auf und schwamm flott mit den Kleidern an das   ziemlich weit entfernte jenseitige Ufer. Triefend kam er zu der   Zuschauermenge und sagte „So Mama, nun hast du gesehen, das ich   schwimmen kann.“
Neben Reiten,   Schwimmen, Flitzbogenschießen, Croquet und Tennisspielen brachten wir Mädels   es auch zu großer Gewandtheit im Klettern. Im Park, der sich ans Haus   anschloß, waren zwei lange Laubengänge aus Buchen. In diesen Buchen   kletterten wir den ganzen Gang entlang und an besonders schönen Stellen   hatten wir unsere Wohnung. Stundenlang konnten wir oben in den Buchenästen   sitzen und Buchenblätter fein ausritzen oder lesen meist überhöht durch das   Geheimnisspiel, das allem und jedem Tun eben seinen besonderen Reiz gab. Im   Ausritzen der Buchenblätter waren wir auch sehr geschickt; wie wir überhaupt,   da wir alles mit Eifer, Liebe und Ausdauer betrieben es auch in allem zu   einer gewissen Meisterschaft brachten. Vor kurzem noch kam mir solch ein   Blatt in die Hand, aufgeklebt auf ein Stück Papier, auf dem Worte standen,   die mir nur bruchstückweise noch im Ohr nachklingen. Vielleicht besinnt sich Elisabeth   noch auf das Fehlende!
 
 den Ekkehard,
 den ich mit Feuer und Begeisterung las.
 Und träumend hielt ich dieses Blatt in Händen.
 Fort trug der Wind die schnell gesprochenen Worte.
 Da fiel mir ein, daß ich zum letzten Mal
 als Kind mit dir auf diesem Baum gesessen.“
 
Die Laubengänge   liefen am Ende in richtige viereckige Lauben aus mit 3 Bänken ringsum. Die   schönste von den beiden war unsere „Theaterlaube“. Neben all dem körperlichen   Sport vergaßen wir auch den geistigen nicht. Er war uns kein Zwang, er war   uns selbstverständlich und gehörte zum Leben wie Spielen und Klettern und   Reiten. Der Mäzenas dieser geistigen recreations und später creations war   Tante Marie, die schon Anfangs genannte gescheidte Schwester meines Vaters.   Ihre Freude an allen geistigen Äußerungen spornte uns an und förderte   Ungeahntes zu Tage. Zuerst waren es Gedichte, die wir in der Theaterlaube   vortrugen, solche, die wir kannten, dann lernten wir zu dem Zweck und zwar,   wenn ich heute zurückdenke, mit rasender Geschwindigkeit. Die illustrierten   Bücher meiner Mutter boten die größte Anziehungskraft. “Album für   Deutschlands Töchter und der   Illustrierte Schiller. Mit 10-11 Jahren lernten wir „des Mädchens   Klage, “Der Knabe   am Bach und auch   die „Kindsmörderin“.
 
Des Mädchens Klage
 
Der Eichenwald brauset, die Wolken ziehn,
 Das Mägdlein sitzet an Ufers Grün;
 Es bricht sich die Welle mit Macht, mit Macht,
 Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht,
 Das Auge vom Weinen getrübet.
 
"Das Herz ist gestorben, die Welt ist leer,
 Und weiter gibt sie dem Wunsche nichts mehr.
 Du Heilige, rufe dein Kind zurück,
 Ich habe genossen das irdische Glück,
 Ich habe gelebt und geliebet!"
 
Es rinnet der Tränen vergeblicher Lauf,
 Die Klage, sie wecket die Toten nicht auf;
 Doch nenne, was tröstet und heilet die Brust
 Nach der süßen Liebe verschwundener Lust,
 Ich, die Himmlische, will's nicht versagen.
 
Laß rinnen der Tränen vergeblichen Lauf!
 Es wecke die Klage den Toten nicht auf!
 Das süßeste Glück für die trauernde Brust
 Nach der schönen Liebe verschwundener Lust
 Sind der Liebe Schmerzen und Klagen.
 
Friedrich Schiller
 
Die gefiel gerade meiner kleinsten Schwester   besonders, an der Stelle: „Henker kannst Du keine Lilie knicken“ erlaubte  sich die 8-jährige die Kritik: „Aber Tante, sie war doch keine  Lilie.“
 
Was der Laube aber ihren Namen gegeben hat, war ein   kleines französisches Stückchen, “Aprés le bal“, das gerade   meiner Schwester Ottilie und mir auf den Leib geschrieben war. Zwei junge   Mädchen sind am Abend der Hochzeit ihrer Schwester ins Bett geschickt und   unterhalten sich über den Bräutigam „le cou de denton und malen das   Bild ihres Zukünftigen. Mein Ideal lag ganz in der realen Welt, besonders   haftete mein Herz an der schönen Richterrobe und im Eifer der Schilderung   ging ich soweit, als Vorteil zu preisen „le canon qu´on tire à son enterrement“.   Ottilie hatte dann entsetzt zu sagen:
 
Moi je voudrais   un poète, oui quelq´un inquiète et qui dans de beaux vers …“
De vers de   pourquoi?“
Pour me parler   d´amour et du ciel“
Et de toi …“
Sie trennten sich am   Fluß mit den Worten:
Rêve de mariage“
Et toi, rêve   d´amour!”
 
Dies Stückchen übten   wir in der Theaterlaube und brachten es zur vollen Beherrschung des Stoffes   in dem Maße, das die Zuhörer tatsächlich den Eindruck bekamen, nicht   Erlerntes, sondern selbst Erlebtes, Eigenes zu hören.
 
Die Sprache und das   Auswendiglernen machte uns ja nicht die geringsten Schwierigkeiten, denn   inzwischen war Mademoiselle François zu uns gekommen und Französisch war die   Sprache des täglichen Lebens.

Als “Sellchen“ ankam,   bekamen wir allerdings zuerst einen großen Schreck. Sie hatte bei ihrer   Anmeldung Frevelwalde statt Pregelwalde als Poststation angegeben, der Brief   erreichte uns daher erst lange nach ihrer Ankunft. So war kein Wagen am   Bahnhof Lindemann gewesen und sie hatte nach der langen Fahrt von Brüssel   noch dazu bei Wind und Regen auf ostpreußischen Landwegen den Weg von 0,7 km   zu Fuß machen müssen. Ich sehe sie noch deutlich vor mir und staunte das kleine fremdländische Fräulein mit den dichten nassen Haaren und Kleidern genauso an wie meine Mutter, die mit einem Mal fließend französisch mit Mademoiselle François sprach. Sie paßte glänzend   in unser Haus. Sie war Lehrerin, keine „bonne“, sehr gescheidt,   taktvoll und sehr geordnet. Nach wenigen Tagen war sie heimisch bei uns. Wir   Mädels hatten die Gewohnheit uns abends noch lange zu unterhalten und konnten   dabei kein Ende finden. Da erschien plötzlich Sellchen bei uns im   Kinderzimmer mit aufgelösten dichten Haaren, das bis auf die Erde reichte.   Wie staunten wir sie an! So etwas kannten wir nur vom Märchen her! Sie hätte   sich ganz hineinhüllen können.
Englisch hatten wir   schon vorher mit Tante Marie betrieben und Little Women, Good wives,   Little Men und einige Bücher   mit 12/ 13 Jahren mit ihr schon gelesen; wohl verstanden gelesen, nicht   übersetzt. Dadurch hatten wir auch für das Englisch das Sprachgefühl bekommen,   das noch




solider Unterricht der alten Methode nie allein geben kann. Wohlverstanden, die solide Grundlage hatte Fräulein Wermke gegeben und dann   die Schule! Unsere Mitschülerinnen, Irmgard, Lolli und Minna Simon, die diese   solide Grundlage nicht bekommen und immer „bonnen“ gehabt   hatten, kamen über ein gewisses Niveau nie hinaus und ihre Arbeiten wimmelten   von Fehlern. Es waren die Töchter der durch die „Adultera“ von   Fontane berühmt gewordenen Frau   Simon geschiedene Ravenay.
Auf den oberen   Klassen lasen wir alle drei englische und französische Bücher aus der   Bibliothek ohne Mühe. Das erste deutsche Buch, das ich las, noch mit Fräulein   Wermke, war Robinson Crusoe, der erste Roman Soll und Haben.
  
Wir hatten auch viel   Logierbesuch in Genslack, besonders in den ersten Jahren. Ein Bild von der   Küche an der Fliederlaube aufgenommen zeigt, wieviel Menschen meine Mutter   bewirtete und beherbergte.
    
Familienphoto der Familie Georg Friedrich Lemke in Genslack
  
1) Alexander Lemke   (Sohn), 2) Hausangestellte, 3) W.O. Goerke (Schwager), 4) Antonie Lemke, geb.   Giese, 5) Ottilie Goerke (Schwägerin, geb. Eckhardt), 6) Georg Friedrich   Lemke, 7) Marie Lemke (Ehefrau), 8) Hausangestellte, 9) Käthe Lemke (Tochter   von Hugo Lemke), 10) unbekannt, 11) unbekannt, 12) Hugo Lemke, Bruder, 13)   unbekannt, 14) Georg Lemke (Sohn), 15) Marie Lemke (Schwester), 16) Hermann   Lemke (Sohn), 17) Hausangestellte, 18) unbekannt, 19) Marie (Muschi)   Lemke (Tochter), 20) Grete Lemke, (Schwester), 21) Ottilie (Tiny)   Lemke (Tochter), 22) unbekannt, 23) Elisabeth Lemke (Tochter), 24) Walter   Lemke (Sohn) 2), 8) und 17) sind   Amalie, die alte Anna (Köchin) und Rose - leider können die Namen nicht   zugeordnet werden
  
  
Auch dadurch hatten   wir viel Anregung. Tante Antonie machte uns mit der Welt Christi bekannt,   Tante Marie spielte mit uns Bézique, lehrte Patience legen und brachte mir ein   Kartenkunststück bei, bei dem ich noch lange nach ihrem Tode in   Gesellschaften Aufsehen erregte. Es hat nie einer das Rätsel gelöst. Ich   werde es im Laufe der Erzählung meines Lebens hier preisgeben. Die   Frauenfrage und die Gattenfrage wurde uns durch sie nahe gebracht und diese   Unterhaltungen fanden ihren Niederschlag in einem kleinen Stückchen von   Elisabeth: “Wer ist der Rechte?“ Eine Aufführung hat dies   Stückchen nicht erlebt, wohl aber ein anderes von der 11jährigen. Die   geladenen Gäste kommen und werden begrüßt, aber ungeduldig wartet man auf´s   Essen. Da kommt die Nachricht, das die Katze die gebratenen Täubchen   gefressen hat; mir ist nur noch der Vers in Erinnerung: „Nehmen Sie   gefälligst Platz.“ (leise) „Kommt bald das Essen lieber   Schatz?“ Und der Schluß wo man beschließt ohne Fleisch bei Kuchen   und Obst vergnügt zu sein „wie es ist in der Thalysia Mode nach Dr. Lahmanns Heilmethode.“   Auch hier bedeutet, wie die Unterhaltung der Großen nachwirkte. Tante   Gretchen erzählte uns den Inhalt der Wagnerschen Dramen, jeden Abend, wenn   wir noch einen Spaziergang machten, mit Fortsetzung.
  
Titurel, Gurnemanz, Parsival, Lohengrin, das wurden uns liebe wohlbekannte Gestalten. Als   Tante Gretchen das zweite Mal kam brachte sie Gredel mit, die Gesangslehrerin   in Berlin war und bei Tante wohnte. Sie war die Tochter des ältesten Bruders   meines Vaters, Onkel Julius, dem Gründer der Leipziger   Feuerversicherungsanstalt, damals 34 Jahre alt. Sie war sehr hübsch, mit glattem   dunklem Scheitel und mit tiefer Altstimme. Sie sang mit uns und für uns und   mit manchem Lied klingt in mir jene Zeit wieder. Es ist wohl das einzige Mal   in meinem Leben, das mir Musik innerlich nahe gebracht wurde. Sie war eben   eine Künstlerin, sie hielt uns selbst an produktiv zu sein und -- ich liebte   sie. Ich liebte sie mit der ganzen schwärmerischen Kraft meiner 18 jährigen   Mädchenseele, ich dachte Tag und Nacht nur noch an sie, ich glaubte nicht   mehr leben zu können, als sie abfuhr. Das Wunder geschah! sogar die Schule   wurde mir gleichgültig und vom 2ten Platz, den ich mir schnell erobert hatte   kam ich auf den 4ten.
  
Wenn ich ein Vöglein   wär, Schlafe mein Prinzchen es   ruhen, An Alexis send ich Dich, mit diesen Klängen kommt eine Welle wonnesamer Empfindungen herauf.
  
Am schönsten war das   Lied:
  
  
Sag wo sind die Blumen hin
  ach die Blumen sind verblüht.
  Sag wo ist das Mädchen hin?
  Sag wo ist der Sänger hin?
  Auch der Sänger ist verblüht.
  
  
5 Jahre nach dem Besuch bei uns heiratete sie José Viana da Motta und 1 Jahr darauf war sie   tot. Auch der Sänger ist verblüht.
  
Onkel Hugo, Gymnasialdirektor in Stettin und Konservator von   Pommern, war auch einer unserer Gäste mit Frau, einer   Tochter und dem jüngsten Sohn Barnim. Er war uns sehr interessant. Er zog   sich aus der großen Gesellschaft aber gern zurück und saß stundenlang in dem   Pavillon hinten im Park und studierte seine Pergamentbände. Er hat das Museum   für Altertumskunde in Stettin begründet und schon zu seinen Lebzeiten wurde   seine Büste dort aufgestellt. Jetzt sollen Museum und Büste auch ein Raub der   Flammen geworden sein.
  
  
Aber bei allem   Besuch, bei aller Betätigung und allen Anregungen blieb doch immer Zeit zur   Besinnung und Beschaulichkeit und die ganze Schönheit eines Sonnentages, das   Summen der Bienen, einer Hummel, das leise Rascheln der Bäume im Winde, die   ganze sommerliche Atmosphäre habe nicht nirgendwo empfunden wie in Genslack.
  
Kopf und Herz waren   eben noch frei und imstande sich ganz dem Augenblick und der Stimmung   hinzugeben. Manche Geräusche sind ganz untrennbar mit Genslack verbunden.
  
Wenn es plötzlich   tüchtig gießt abends im Halbdunkel: dann durchfährt mich der Gedanke: ob   dein Hut noch im Garten liegt? Es passierte mir nämlich oft, daß ich   im Laufe angeregter Spiele den Hut im Garten vergaß und ihn mir dann erst am   anderen Tag ganz naß und steif getrocknet wieder holte. Das waren damals aber   noch richtige Strohhüte, die gottlob auch solche Behandlung vertrugen.
  
Genslack war nicht   zu vergleichen mit einem modernen Seebad, in das man Kinder hinführt für ein   paar Wochen als Gäste. Wir waren nicht Gäste, wir kamen nach hause, wir   fanden alle unsere Sachen unberührt vor, wenn wir wiederkamen und alles war   schön vom ersten Augenblick des Packens und das Reisefieber beim Besteigen   des Dampfers unten am Pregel mit dem beliebten Mundvorrat kalter Bratwurst,   kalter Klopse, harten Eiern und Broten für die lange Fahrt von 3-4 Stunden   auf dem sonnenbeglänztem Pregel bis zum Schluss, wenn der Kutschwagen und der   Klapperwagen fürs Gepäck vor dem Hause hielten, um uns heim zu nehmen. Auch   schlechtes Wetter konnte uns nichts anhaben.
  
Ach wie viel könnte ich noch erzählen!
  
Mit 13 Jahren bekam   ich meinen Damensattel und Hermann einen kleinen Klapperwagen zu Weihnachten.   Der Wagen ließ sich nicht auf den Weihnachtstisch stellen, darum lag auf   seinem Platz ein Bogen auf dem ein Wagen aufgeklebt war, darunter die Verse:
  
  
Einen Wagen hast Du hier,
  Aber Sohn, das merke Dir,
  Sollte ich es je erleben,
  Daß sich tut ein Streit erheben
  Zwischen Dir und den Geschwistern
  Wenn sie nach dem Fahren lüstern.
  Dann wirst Du es bald erleben
  Das wir ihn einem anderen geben.
  Vielleicht auf Nimmerwiederkehr.
  Du bist Herr von dem Gefährt
  Wie - hab ich Dir nun erklärt.
  Du kannst fahren durch Wald und Feld
  Aber immer sei bereit
  Den mitzunehmen, den es freut.

       
Ganz genau hab´ ich   es nicht mehr behalten und viel in Reimen auszudrücken war bei uns in der   Familie alte Familientradition. Ich habe ein ganzes Buch mit schönen   Gedichten und Rätseln, die mein Großvater meiner Mutter, als sie in   Königsberg war, schickte, oft an statt von Briefen. Mein Vater benutzte auch   gern statt selbst einzukaufen, diese symbolische Handlung. So besinne ich   mich auch auf den Vers:

In dem gewünschten rechten Verhältnis
mein Einverständnis.

Bei dieser Liebe zum   Reimen war auch das Gesellschaftsspiel einen Reim zu machen aus zwei Worten,   die vom rechten und linken Nachbarn ins Ohr geflüstert wurden, sehr beliebt.   Ich besinne mich auf einen schönen Familienabend in der schlichten Genzlacker   Wohnstube, an dem noch mein Vater teilnahm. Auf seinen Vers besinne ich mich   noch.
Wagner ist ein Componiste
Walters Flötenspiel ist triste.

Die Verse hagelten   einer nach dem anderen und wir waren alle so lebhaft, hinterher, daß mein   Vater sagte: „jetzt darf nur noch in Versen gesprochen werden.“ Da   fiel auch der später oft zitierte Reim:
Von außen ist der George ganz schlicht
Von innen aber doch ein Wicht.
Und stiller wurde es trotzdem nicht.
           
Auch das   “Dummkopfspiel“ war sehr beliebt bei uns. Man sitzt im Kreis oder um den   Tisch und jeder sagte der Reihe nach ein Wort: Hahn, Apfel, Gedicht u.s.w.   der Folgende wiederholt das Wort respektive die Worte und fügt ein Neues   hinzu. Wer einen Fehler macht oder nicht weiter kann, ist Dummkopf 1, dann 2,   dann 3. Statt des neuen Wortes muß der nächste, der die Reihe anfragt, dann   Dummkopf 1 oder 2- einfügen.
Wir machten es mit   diesem Spiel, wie mit allem. Schon beim Erwachen fingen wir an die Wortreihen   zu sagen und abends vor dem Schlafengehen, so daß wir es auch darin zur   Virtuosität brachten. Meine Kinder haben es uns nachher nachgemacht, und es   war keinem geraten, da mitzumachen; ich habe auch da gesehen, was Übung   macht. Wir betrieben eben alles mit Lust und Liebe und zielstrebigem Eifer   und so gestalteten wir uns auch jeden Alltag zum Fest. Ich besinne mich auch   auf einen Abend, an dem Fragen aus der Geschichte gestellt wurden und weiß   noch, wie es mir Eindruck machte, daß mein Vater so genau über Trafalgar und Abukir Bescheid wußte. Da   passierte auch die kleine Geschichte. Ottilie wurde gefragt wie der Präsident   von Frankreich heiße. Sie wußte es nicht und meine Mutter flüsterte   Elisabeth, die neben Ottilie saß, zu: „Faure ! Worauf   Elisabeth, die eben mit 11 Jahren in die Schule gekommen war sagte: “Aber   ich kann doch nicht vorsagen, ich weiß es doch nicht.“
Das war meine   Kindheit, das war Genzlack. Es ist als ob ein Heiligenschein über jener Zeit läge!

Toutes ces choses   sont passées
Comme l´ombre et comme le vent.

Im Jahre 1896 war   ich zum letzten Mal und mit der ganzen Familie in Genzlack, 1897 war mein   Vater schon schwerkrank im Roten Kreuz in Wiesbaden und ich mit ihm, 1898   fuhr ich nur hin, um alles aufzulösen, denn mein Vater hatte uns verlassen.
Zu der Taufe eines   kleinen Jungen des Besitzers fuhr ich noch einmal hin, aber da schien mir   alles öd und leer. Ich schrieb in mein Tagebuch die Worte Gerocks:
Den ich zum Abschied   pflücke
Mein letzter Strauß ist dies;
Ich kehre nicht zurücke
Mein Kindheitsparadies.

Im Jahre 1904 bin   ich noch einmal zu den Städten meiner Kindheit gekommen, als ich mit meinem   Verlobten dort auf Jagd ging und meinen ersten Hasen schoß. Da hatte ein   neues Leben sich mir aufgetan. Dazwischen liegen aber fünf traurig einsame   und große reiche für meine Entwicklung bedeutende Jahre.
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